Warum KMU starke Verbände brauchen
11.07.2025
Im Vergleich zu heute waren 1900 die persönlichen Entbehrungen von Gewerbetreibenden sicherlich grösser und die Möglichkeiten zur Entfaltung kleiner. Dafür müssen sich Unternehmerinnen und Unternehmer heutzutage in einer komplexen und sich immer schneller verändernden Welt zurechtfinden. Früher wie heute stellen sich gerade kleine und mittlere Unternehmen (KMU) die Frage: Wer schützt unsere Interessen? Wer verschafft unserer Stimme Gehör? Wer hält uns den Rücken frei? Die Antworten sind die gleichen wie vor 125 Jahren, nämlich Organisationen wie der Bündner Gewerbeverband (BGV). In diesem Jahr darf der grösste Wirtschaftsverband Graubündens sein 125-jähriges Bestehen feiern. Dieses Jubiläum ist mehr als ein Fest – es ist ein Lehrstück über die Kraft gemeinschaftlicher Interessenvertretung und Solidarität..
Der Grundgedanke des BGV ist einfach: Zusammen sind wir stärker. Während Grossunternehmen eigene Rechtsabteilungen, Lobbyisten und PR-Teams beschäftigen, fehlen KMU oft die Zeit sowie das Wissen oder die Ressourcen, um sich auf politischer oder gesellschaftlicher Ebene Gehör zu verschaffen. Hier setzt die Rolle des BGV an: Er bündelt viele kleine Stimmen zu einer grossen. Er schafft Sichtbarkeit, wo Einzelne untergehen würden.
Von drei lokalen Handels- und Gewerbevereinen in Chur vor 125 Jahren gegründet, vertritt der Bündner Gewerbeverband heute über 6000 Mitglieder aus 32 Berufsverbänden und 31 lokalen Handels- und Gewerbevereinen – von der Metzgerei bis zum Bauunternehmen, vom Treuhänder bis zum Detaillisten sowie von Hausärzten bis zur Industriefirma. Der BGV war bereits vor 125 Jahren seiner Zeit etwas voraus. Von einem kantonalen Zusammenschluss der Wirtschaft waren nur wenige Gewerbler angetan, sodass der gesamte Vorstand zweimal demissionierte und bereits drei Jahre nach der Gründung die Auflösung zur Debatte stand. Aber der Lauf der Dinge liess sich nicht mehr aufhalten, denn die Delegierten wollten weitermachen. Der Bündner Gewerbeverband entwickelte sich binnen weniger Jahre zu einem wichtigen Akteur in Politik und Berufsbildung. Dass die Abstimmung zur Aufhebung des Autofahrverbots in Graubünden vor 100 Jahren gewonnen werden konnte, war massgeblich auf den Einsatz des damaligen BGV zurückzuführen, der die Initiative eingereicht und dafür gekämpft hatte.
Die politische Interessenvertretung stand von Anfang an im Zentrum unserer Arbeit. Wir mischen uns ein, wenn es um die Anliegen unserer Mitglieder in der Politik geht. 1921 fasste der BGV einen ganz wichtigen Grundsatzbeschluss: Wir sind überparteilich. Anstatt eine eigene Wirtschaftspartei zu gründen, haben wir unsere Mitglieder aufgerufen, sich in ihren jeweiligen Parteien für die Anliegen des Gewerbes und des Mittelstandes stark zu machen. Dies tun wir noch heute – wir setzen uns konsequent in der kantonalen Politik für die Anliegen unserer Mitglieder ein. Dabei sind wir aber auf die Unternehmerinnen und Unternehmer angewiesen. Sie müssen sich im Grossen Rat für die Interessen der Wirtschaft einsetzen. Die Verbände können im Hintergrund eine wichtige Arbeit leisten, aber schlussendlich ersetzen Verbände keine Politikerinnen und Politiker. Wir benötigen heute mehr denn je Unternehmerinnen und Unternehmer, die sich politisch engagieren – und dies in allen Parteien. Unternehmen können am besten beurteilen, was die Entscheide von Politik und Verwaltung für ihre Arbeit bedeuten. Sie können authentisch gegen ausufernde Regulierungen, Mikromanagement und Bürokratie auftreten. Daher mein Aufruf auch hier: Unternehmerinnen und Unternehmer sollen für die Grossrats- und Regierungswahlen 2026 kandidieren.
Von Anfang an hatte sich der Bündner Gewerbeverband auch für die Berufsbildung ins Zeug gelegt. Einen Fachkräftemangel gab es auch damals. Die grosse Bautätigkeit um die Jahrhundertwende, speziell in den Tourismusorten, erforderte eine grosse Anzahl qualifizierter, beruflich geschulter Handwerker, die nicht – oder zumindest nicht in genügender Zahl – vorhanden waren. Für das Gewerbe war es deshalb von grösster Bedeutung, den eigenen Nachwuchs professioneller auszubilden. Die Zahl der Gewerbeschulen sollte erhöht, geeignete Lehrpersonen gefunden und Lehrlingsprüfungen durchgeführt werden. Da eine gesetzliche Regelung nicht spruchreif war, beschlossen die Delegierten im Jahr 1905 die Durchführung der Lehrlingsprüfungen, die aber nur für die eigenen Mitglieder obligatorisch waren. Erst 1919 konnte das seit der Gründung erstrebte Ziel des Obligatoriums der Lehrabschlussprüfungen erreicht werden. Bereits damals zeigte sich, dass politische Beharrlichkeit sich irgendwann auszahlt. Verbände müssen aber unabhängig von der Politik auch schnell eigene Lösungen für aktuelle Probleme finden und umsetzen. Der Bündner Gewerbeverband setzt sich auch heute für den beruflichen Nachwuchs ein, beispielsweise als Organisator der Bündner Berufsausstellung Fiutscher oder durch die Erarbeitung der Strategie Berufsbildung Graubünden 2035, mit dem Ziel, Graubünden als den Berufsbildungskanton zu etablieren.
Neben Politik und Berufsbildung sind Information, Netzwerk, Austausch und Weiterbildungen über die 125-Jahre-BGV-Geschichte hinweg weitere Tätigkeitsbereiche geblieben. Zentral für den Erfolg eines Verbandes sind drei Dinge:
- Unabhängigkeit – wir sind nur unseren Mitgliedern verpflichtet;
- Klare Ziele und professionelle Arbeit;
- Ein engagiertes Team, das sich mit Freude für die Sache einsetzt.
Wir blicken in diesem Jahr stolz auf unsere Geschichte zurück, stellen aber auch die Weichen für eine Zukunft, in der unsere Mitglieder sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren können. Wir sind keine Verwalter, sondern aktive Zukunftsgestalter und versuchen, die richtigen Schlüsse bereits heute zu ziehen – und damit auch das wirtschaftliche Potenzial des Kantons künftig besser auszuschöpfen. Unsere Mitglieder profitieren zwar direkt von unserer Arbeit sowie von verschiedenen Angeboten. Sich einem Verband anzuschliessen, ist aber auch ein Akt der Solidarität. Gemeinsam ist man stärker: früher, heute und in Zukunft.

