«Die Personalentwicklung kann viele Beiträge leisten»

In einer dynamischen Arbeitswelt ist kontinuierliche Entwicklung entscheidend – für Unternehmen ebenso wie für ihre Mitarbeitenden. Personalentwicklung ist heute weit mehr als klassische Weiterbildung. Sie ist ein strategischer Hebel, um dem Fachkräftemangel aktiv entgegenzuwirken, Kompetenzen gezielt auszubauen und Mitarbeitende langfristig ans Unternehmen zu binden. Am Grundprinzip habe sich wenig geändert, sagt Frank Bau, Dozent an der FH Graubünden. «Gute Personalentwicklung ist keine Frage von modern oder altmodisch, sondern von gut oder weniger gut. Gut ist sie dann, wenn sie in die Unternehmensziele eingebettet ist und mit einer sorgfältigen Bedarfsanalyse beginnt.»

Frank Bau, was umfasst heutzutage eine moderne Personalentwicklung?
Am Grundprozess der Personalentwicklung hat sich nichts geändert. Ich würde daher eher gut und weniger gut, als modern sagen. Und gut ist Personalentwicklung dann, wenn sie in die Unternehmensziele eingebettet ist und mit einer Bedarfsanalyse auf Unternehmens-, Gruppen- und Individualebene beginnt. Dabei ist wichtig, genau zu analysieren, welche Aufgaben sich in welcher Form verändern. Welche Veränderungen in meinem Umfeld könnten Veränderungen in meiner Branche und meinem Unternehmen auslösen und was bedeutet das dann für meine Mitarbeitenden?

Welchen Beitrag kann die Personalentwicklung in Zeiten des Fachkräftemangels leisten?
Die Personalentwicklung kann viele Beiträge leisten. Unmittelbar sorgt sie dafür, dass die jetzt und in Zukunft benötigten Kompetenzen und Fähigkeiten im Unternehmen verfügbar sind. Mittelbar sorgt Personalentwicklung aber auch dafür, dass Mitarbeitende sich wertgeschätzt fühlen und spüren, dass das Unternehmen an ihrer persönlichen Entwicklung interessiert ist. Mitarbeitende werden das mit höherem Commitment und Loyalität belohnen. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass – sofern man das auch nach aussen kommuniziert – die Arbeitgeberattraktivität zunehmen kann, was bei Fachkräftemangel sehr hilfreich sein kann.

Gibt es Erfolgsfaktoren für eine wirkungsvolle Personalentwicklung, die Sie aus Ihrer Forschung oder Praxis besonders hervorheben würden?
Wie schon betont, halte ich die Bedarfsanalyse für besonders wichtig. Wer hier den Weiterbildungsbedarf jeder einzelnen Mitarbeiterin und Mitarbeiters individuell beurteilt, wird die verfügbaren Mittel effektiv und effizient einsetzen. Nichts ist ärgerlicher, als wenn Mitarbeitende wegen einer Weiterbildung nicht beim Kunden verfügbar sind und sich dann auf einer unpassenden Weiterbildung langweilen. Daher mein Tipp: nicht vermeintlichen Moden und Trends hinterherlaufen, sondern sich Zeit nehmen und genau überlegen, was sich an den Anforderungen an die Mitarbeitenden ändern wird und wie diese darauf bereits vorbereitet sind. Wenn sich dann eine Lücke zeigt, besteht Entwicklungsbedarf. Je weiter man dabei in die Zukunft schauen kann, umso besser. Unternehmen sollten Personalentwicklung als Investition in die Zukunft betrachten und nicht als Kostenfaktor.

Welche Rolle spielt Führung dabei, insbesondere im Hinblick auf Lernkultur und Motivation der Mitarbeitenden?
Die Rolle der Führung dabei ist absolut erfolgskritisch. Selbst in grossen Konzernen mit einer grossen Personalentwicklungsabteilung kann Personalentwicklung nur mit der direkten Führungskraft und den Mitarbeitenden gemeinsam gelingen. Niemand kann den Entwicklungsbedarf besser einschätzen als Führungskraft und Mitarbeitende selbst. Die Führungskraft kann die Lernkultur im Unternehmen durch eigenes vorbildhaftes Verhalten beeinflussen. Wichtig ist auch, dass jede Führungskraft im Sinne des gesamten Unternehmens handelt. Gerade sehr operativ ausgerichtete Teams mit strengen Zielvorgaben könnten dazu neigen, dass Personalentwicklung aufgeschoben oder sogar gestrichen wird, damit operativ die volle Personalstärke verfügbar ist. Kurzfristig sinnvoll, langfristig aber möglicherweise fatal.

Wie können in einem Unternehmen unterschiedliche Lernformen wie formelles, informelles, non-formales und kollaboratives Lernen miteinander verbinden?
Das ist tatsächlich anspruchsvoll. Nach einer guten Bedarfsanalyse weiss ich, ob eine umfangreiche Weiterbildungsmassnahme erforderlich ist, ob z.B. eine Produktschulung bei meinen Lieferanten oder eine Form von Selbststudium in mehreren kurzen Einheiten oder mit kollegialer Unterstützung erforderlich ist. Die richtigen Formen zu finden, ist nicht einfach. Teams können sich da intern helfen, indem sie in den Austausch gehen und z.B. herausfinden, ob Mitarbeitende sich gegenseitig bei bestimmten Themen helfen können. Wir haben an der FHGR dazu in einem Forschungsprojekt einmal einen Personalentwicklungszyklus formuliert, der auf einem Teamportfolio aufsetzt, das genau das sichtbar macht. Denn wie schon gesagt, die Mittel sind meist begrenzt und sollten daher so passgenau wie möglich eingesetzt werden.

Viele kleinere Unternehmen verfügen nicht über eine eigene Personalabteilung. Wie können KMU Personalentwicklung trotzdem gezielt und ressourcenschonend umsetzen?
Die Teams wissen meist recht gut, was sie brauchen. Die Abstimmung kann im Team passieren. Fühlen sich einzelne Führungspersonen dabei überfordert, kann man sich auch auf der Führungsebene gegenseitig unterstützen. Grosse Unterstützung können aber auch Verbände liefern. In einem anderen Projekt untersuchen wir gerade die Auswirkungen der Digitalisierung und Energiewende auf den Arbeitsmarkt. Dabei beobachten wir, dass die Berufsverbände sehr gut wissen, welche Kompetenzen z.B. Berufsbilder wie Elektromonteur/-in oder Heizungsinstallateur/-in verändern. Sie passen die Ausbildungsinhalte an, entwerfen aber auch Weiterbildungsangebote.

Welche praxisnahen Instrumente oder Ansätze empfehlen Sie KMU, um Entwicklungsmöglichkeiten zu schaffen – auch ohne grosse Budgets?
Das sind im Grunde die Schritte und Überlegungen, die wir bisher besprochen haben. Wir haben das in einem Artikel als Zyklus beschrieben, der den Unternehmen und Führungskräften Orientierung gibt. Es ist einfacher, als viele denken. Aber man muss sich dafür etwas Zeit nehmen. Ich würde gerne das eine Instrument und die allumfassende Entwicklungsmassnahme empfehlen. Aber pauschale Empfehlungen werde für die Unternehmen teurer, als die aus einer guten Analyse abgeleiteten zielorientierten Massnahmen.

Wie können KMU eine Kultur des kontinuierlichen Lernens fördern, in der Mitarbeitende eigenverantwortlich Wissen aufbauen und teilen?
Mitarbeitende müssen durch das Verhalten der Führungskräfte und der Unternehmer das Gefühl bekommen, dass Personalentwicklung wichtig und erwünscht ist. Mitarbeitende sollten sich stets ermuntert fühlen, mit Vorschlägen für die eigene Weiterbildung auf ihre Führungspersonen zuzugehen. Das bringt uns zu einem der mächtigsten und gleichzeitig einfachsten Führungsinstrument, der Partizipation. Die Mitarbeitenden wissen genau, was oft sehr gut, was ihnen fehlt. Man muss sie nur danach fragen und dann machen lassen.

Welche Trends prägen die Personalentwicklung aktuell?
Wir haben durch die verfügbaren Technologien und Medien neue Lernformate. Kleinere Einheiten für selbstgesteuertes Lernen sind heute auch mobil verfügbar und können flexibel in den Arbeitsalltag integriert werden. Dadurch wird Lernen maximal flexibel. Wir nennen das auch zeitlich und räumlich asynchrones Lernen. Das heisst, die Teilnehmenden können Lerninhalte konsumieren, ohne zur gleichen Zeit im gleichen Raum wie andere Teilnehmerinnen und Teilnehmer und die Lehrperson sein zu müssen. Man sollte dabei nie auf eine persönliche Begleitung verzichten. Aber man kann die neuen Lerntechnologien sehr gut einsetzen, um flexibler und effizienter zu werden.

Inwiefern verändern digitale Tools wie KI die Art und Weise, wie Mitarbeitende heute lernen?
Dazu kann ich bisher nur mutmassen. Die Entwicklung der KI-Anwendungen ist so rasant und noch jung, dass ich mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen möchte. Aber ich habe das Gefühl, dass durch Internet und KI Wissen an Wert verliert und die Menschen die Notwendigkeit nicht mehr so sehr spüren, sich Wissen selbst anzueignen, da es bei Bedarf immer schnell verfügbar ist. Das führt uns zu dem, was Bildung und auch Personalentwicklung eigentlich ohnehin immer im Blick haben sollten: die Kompentenzentwicklung. Internet und KI können den Erwerb und das Vorhalten von Wissen unterstützen und teilweise ersetzen. Aber in jedem Beruf wird es immer bestimmte Fähigkeiten und Kompetenzen geben, die ich nur praktisch erwerben und trainieren kann. Die neuen Technologien können uns also helfen, den Fokus auf das Wesentliche zu legen.

Wie können Unternehmen den Einsatz solcher digitalen Lernformen sinnvoll in ihre Personalentwicklung integrieren?
Bei jeder Lücke bei Fähigkeiten, Kompetenzen und Wissen muss ich neu prüfen, was der beste Weg ist, die identifizierte Lücke zu schliessen. Geht es beispielsweise um neue Vorschriften bei der Entsorgung von Giftstoffen, reicht vielleicht eine asynchrone online Schulung. Umfasst es hingegen auch die physische Handhabung von Gefahr- und Giftstoffen, ist eher ein Training in der Gruppe unter Anleitung von Fachpersonen erforderlich. Wir kommen also immer wieder zur Bedarfsanalyse im ersten Schritt. Im zweiten Schritt ist aber immer der Blick ins Team oder Unternehmen sinnvoll, ob das erforderliche Wissen nicht im Haus verfügbar ist.

Welche Kompetenzen werden künftig besonders gefragt sein – sowohl bei Mitarbeitenden als auch bei Personalentwicklern?
Dazu gab es schon etliche Studien. Die so genannten Future Skill Studies von McKinsey oder dem World Economic Forum haben das mehrfach und gut erforscht. Die identifizierten Skills sind aber oft abstrakt und wenig berufsbezogen. Bei unseren eher berufs- oder branchenbezogenen eigenen Untersuchungen stellen wir fest, dass die Kompetenz der Vernetzung und Integration verschiedener Gewerke und Produkte immer wichtiger wird. Je nach Beruf kommt noch die Kompetenz hinzu, die immer komplexer werdenden vernetzten Produkte den Kunden zu erklären. Das kann schnell zu Überforderungen einzelner Mitarbeitender und Überfrachtung von Berufsausbildungen führen. Das müssen Führungskräfte und Personalentwickler im Blick behalten, um auf dem Weg in die Zukunft niemanden zu verlieren.

Anlass «Personalentwicklung: Potenziale erkennen, entwickeln und binden»

Der nächste KMU-Impuls-Anlass «Personalentwicklung: Potenziale erkennen, entwickeln und binden» findet am Donnerstag, 13. November, um 17.30 Uhr anlässlich der Bündner Berufsausstellung Fiutscher in der Churer Stadthalle statt. Personalentwicklung ist heute weit mehr als klassische Weiterbildung. Sie ist ein strategischer Hebel, um dem Fachkräftemangel aktiv entgegenzuwirken, Kompetenzen gezielt auszubauen und Mitarbeitende langfristig ans Unternehmen zu binden. Der KMU-Impuls-Anlass zeigt anhand von inspirierenden Inputreferaten und interessanten Praxisge­sprächen, wie man das Thema Personal­entwicklung und insbesondere die Weiterbildung von Mitarbeitenden nutzen kann. Mit Referaten von Stefan Eisenring (ibW), Frank Bau (FHGR) und Martin Gerber (Story Thusis) sowie Bündner Praxisbeispielen mit Petra Dörig (Repower) und Christian Egli (Gebr. Möhr AG).

Anmeldung unter: www.dwgr.ch/wahlen26


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