«Gestandene Unternehmer kommen an ihre Grenzen»

Christian von Ballmoos

​Die Sicherung attraktiver Rahmenbedingungen für die Bündner Wirtschaft ist ein zentrales Anliegen des Bündner Gewerbeverbands. Dabei hat sich die Raumplanung in den letzten Jahren zu einem entscheidenden Standortfaktor entwickelt – und zugleich zu einer der grössten Herausforderungen für unsere Mitglieder.

Bl. Die Raumplanung belegte bereits seit einigen Jahren gemäss der DWGR-Mitgliederumfrage den zweiten Platz unter den grössten unternehmerischen Herausforderungen. 50% der befragten Unternehmen sehen darin grossen politischen Handlungsbedarf. Jan Koch, Unternehmer aus Tamins, und Christine Kocher, Anwältin aus Klosters, beschäftigen sich beide beruflich und politisch mit Fragen zur Raumplanung und Baubewilligungsprozessen. Beide sitzen im Grossen Rat und sind Mitglieder des Leitenden Ausschusses des BGV. Wir haben bei ihnen nachgefragt, welche Herausforderungen aktuell im Kanton bei Ortsplanrevisionen und Baubewilligungsprozessen anzutreffen sind, was die Ursachen sind und wie mögliche Lösungen aussehen könnten. Ebenfalls nehmen sie Stellung dazu, wie der BGV auf die für viele Mitglieder schwierige Situation reagiert.

Warum wird der BGV im Bereich der Raumplanung aktiv?
Christine Kocher: Gerade in einem alpinen Kanton wie Graubünden ist eine praxistaugliche Raumplanung zentral. Wenn Betriebe nicht mehr erweitern können und Mitarbeitende keinen Wohnraum finden, wird die wirtschaftliche Entwicklung des Kantons gebremst. So geht auch Wertschöpfung verloren. Die Raumplanung ist zur wohl grössten Herausforderung für unseren Kanton geworden – sie entscheidet darüber, ob wir Wachstum ermöglichen oder Chancen verspielen.

Jan Koch: Die Raumplanung und die Baubewilligungsprozesse werden tatsächlich zunehmend zur Wachstumsbremse für das Gewerbe und der gesamten Wirtschaft. Viele unserer Mitglieder melden massive Verzögerungen, Auflagen, die an der Realität vorbeigehen, und fehlende Entwicklungsmöglichkeiten – sowohl für Betriebsflächen als auch für den Wohnraum ihrer Mitarbeitenden.

Steht es wirklich so schlimm um die Raumplanung und Baubewilligungsprozesse in Graubünden?
Koch: Ja, die Verfahren dauern zu lange, sind zu formalisiert und komplex und zu wenig unternehmerisch gedacht. Es fehlt oft an klaren Vorgaben, an Verbindlichkeit und an Verantwortung. Schleichend hat sich die Situation verschlimmert und es ist keine Besserung in Sicht. Wir reden von Verzögerungen bei Bauprojekten um Jahre, nicht wie früher um Monate. Im Vergleich zu vor zehn Jahren hat sich die Situation massiv verschlechtert. Ich treffe immer wieder auf gestandene und erfolgreiche Unternehmer und Unternehmerinnen, welche bei Bauprojekten aufgrund der Regulierungen und unendlichen Verfahren an den Anschlag kommen.

Kocher: Die aktuelle Gesetzgebung und der damit einhergehende Vollzug in diesem Bereich haben gravierende Folgen: Sie verschärfen die Wohnungsnot, schränken die Verfügbarkeit von Gewerbeland ein und erschweren damit die Rekrutierung und Bindung von Fachkräften. Diese Entwicklungen beeinträchtigen die unternehmerische Handlungsfähigkeit unserer Mitglieder und setzen ihre Wachstums- und Investitionspläne zunehmend unter Druck.

Was hat sich im Vergleich zu früher verändert?
Koch: Die Komplexität hat zugenommen, die gesetzlichen Vorgaben von Bund, Kanton und Gemeinden sind umfangreicher geworden – und der mögliche Spielraum wird von den Behörden oft gar nicht genutzt. Statt mutig zu gestalten, herrscht vielerorts vorauseilender Gehorsam und Verwaltungseifer. Man verwaltet Probleme, statt sie zu lösen. Gleichzeitig fehlt vielerorts die Erfahrung, diese effizient umzusetzen. Früher konnte man mit gesundem Menschenverstand und etwas Pragmatismus Lösungen finden – heute dominiert die Angst vor Fehlern und Einsprachen. Juristen, Bauberater, Raumplaner haben das Sagen bei den Baubehörden übernommen.

Kocher: Ein weiteres Problem ist: Die Raumplanung wird heute vom Bund viel stärker und detaillierter geregelt als früher – das widerspricht nicht nur dem föderalen Prinzip, sondern auch der in der Verfassung vorgesehenen Kompetenz des Bundes zur blossen Grundsatzgesetzgebung. Gerade in einem alpinen Kanton wie Graubünden führt diese Überregulierung durch den Bund zu massiven Problemen. Gemeinden und Kanton verlieren den nötigen Spielraum, obwohl sie die lokalen Realitäten am besten kennen. Hinzu kommt: Das Bundesgericht greift zunehmend gesetzgeberisch ein – etwa mit dem Entscheid, dass Einsprachen kostenfrei sind, solange sie nicht willkürlich erscheinen. Und faktisch sind Einsprachen so gut wie nie willkürlich. Das führt zu langen Verfahren ohne Kostenrisiko für die Einsprecher – und verletzt klar die Gewaltenteilung.

Warum haben Sie den Vorstoss im Grossen Rat eingereicht Frau Kocher?
Weil die Gemeinden am besten wissen, welche raumplanerischen Bedürfnisse vor Ort bestehen – sie kennen die konkreten Herausforderungen, aber auch die Chancen für eine sinnvolle Entwicklung. Schon heute sind wir durch das Bundesrecht stark eingeschränkt. Das kantonale Raumplanungsgesetz  und die dazugehörige Verordnung schränken den Handlungsspielraum der Gemeinden zusätzlich ein. Das darf nicht sein. Der Auftrag fordert deshalb eine Revision des kantonalen Raumplanungsgesetzes – mit dem Ziel einer Deregulierung. Die Gemeinden sollen wieder mehr Handlungsspielraum erhalten und nicht zusätzlich zum Bundesrecht durch kantonale Vorgaben eingeschränkt werden. Sie sollen den Spielraum dann aber auch nutzen.

Und auf Bundesebene, müsste man nicht auch dort aktiv werden?
Koch: Doch, es braucht auch auf Bundesebene einen Paradigmenwechsel in der Raumplanung und Anpassungen des Bundesrechts. Das Ziel muss sein, dass künftig innerhalb der Bauzone nicht in der ganzen Schweiz die gleichen Bestimmungen gelten, sondern dass diese den Gegebenheiten der Regionen angepasst werden. Die Topografie und die funktionalen Räume müssen auf Bundesebene in der Raumplanung mehr Beachtung finden. Wir sind aktuell mit verschiedenen Personen und Stellen daran auszuloten, wie dies möglich wäre. In Bundesbern mahlen die politischen Mühlen aber leider sehr langsam, hier sind wir auf eine gute Vernetzung angewiesen und sind froh darum aktuell auf diese zählen zu dürfen.

Welche Aktivitäten plant der BGV darüber hinaus?
Kocher: Der BGV wird sich mit Nachdruck in die raumplanerische Diskussion einbringen, um praxisorientierte und wirtschaftsfreundliche Lösungen zu fördern, die den Bedürfnissen der Unternehmerinnen und Unternehmer gerecht werden und die regionale Wertschöpfung stärken. Ziel ist es, die Raumplanung wieder realitätsnaher und einfacher zu gestalten, die langfristige dezentrale Besiedelung zu sichern und die BGV-Mitglieder sowie seine Sektionen in allen raumplanerischen Fragen wirksam zu unterstützen. Dafür hat der BGV einen Aktionsplan Raumplanung mit verschiedenen konkreten Massnahmen verabschiedet.

Was muss ich bei Baubewilligungsprozessen als Bauherr beachten?
Koch: Leider ist es heute so, dass auch bei etwas grösseren Bauprojekten Bau- und Raumplanungsjuristen von Anfang an vonseiten der Bauherren beigezogen werden müssen. Denn gegenüber den Gemeinden muss genau und auf Basis der Fakten argumentiert werden können. Wenn die Verfahren nicht vorwärtsgehen gilt, freundlich, aber bestimmt dran bleiben und allenfalls auch mal den politischen Weg wählen, wenn es ein allgemeines Problem in einer Baubehörde gibt.

Kocher: Wichtig ist, dass bereits im Vorfeld eines Bauvorhabens die rechtlichen Rahmenbedingungen sorgfältig abgeklärt werden. Dabei sind die einschlägigen Bestimmungen auf kommunaler, kantonaler und bundesrechtlicher Ebene zu berücksichtigen. Zudem empfiehlt es sich, frühzeitig eine Strategie im Umgang mit potenziellen Einsprecherinnen und Einsprechern zu entwickeln. Im Vergleich zu früher erfordern die heutigen Baubewilligungsverfahren deutlich mehr Geduld und sorgfältige Vorbereitung.

Was kann ich machen, wenn ich von einer Ortsplanrevision betroffen bin?
Kocher: Wer mit der geplanten Ortsplanung nicht einverstanden ist, hat verschiedene Möglichkeiten, sich politisch einzubringen: Während der öffentlichen Auflage können alle Personen – unabhängig von Wohnsitz oder Betroffenheit – eine Mitwirkungseingabe machen. Informieren Sie andere, führen Sie Gespräche oder nutzen Sie Medien, um auf kritische Punkte aufmerksam zu machen. Wichtig ist, dass man sich auch als Unternehmer/in einbringt, wenn man betroffen ist. Allianzen schmieden, Kontakt mit dem Handels- und Gewerbeverein aufnehmen. Bei der Abstimmung über die Ortsplanrevision sind dann die Stimmberechtigten einer Gemeinde gefragt. Eine Ortsplanung mit neuem Baugesetz und Gestaltungs- und Zonenplan hat einen grossen Einfluss für Jahrzehnte. Eine Ortsplanungsrevision ist ein Generationenprojekt. Ein Nein kann durchaus sinnvoll sein – nämlich dann, wenn die Vorlage nicht tragbar, nicht ausgewogen oder nicht zukunftsfähig ist.

Wie komme ich zu Gewerbeland oder Gewerbefläche?
Koch: Gewerbeland ist vielfach am falschen Ort zu haben. Man muss sich auf die Suche machen und Geduld haben. Gewerbefläche in Liegenschaften findet man über Immobilienportale. Möchte man Gewerbeland erwerben, lohnt es sich bei den Gemeinden oder beim Kanton (Amt für Wirtschaft und Tourismus) immer wieder nachzufragen. Sich mit anderen Unternehmen zusammenzutun ist vielfach erfolgversprechender. Nach freien Parzellen in den Arbeitszonen zu suchen und mit den Eigentümern Kontakt aufzunehmen kann auch die Lösung sein. Wenn man selbst eine Gewerbeliegenschaft bauen möchte, gilt: Die perfekte Lösung gibt es nicht, man muss Kompromisse eingehen.

Wie geht es nun weiter?
Kocher: Die Raumplanung ist eine der grössten Herausforderungen für unseren Kanton. Der Bündner Gewerbeverband bleibt dran und setzt sich mit Nachdruck für Lösungen ein, die Bauen ermöglichen, statt verhindern. Wir erwarten von den Gemeinden, dass sie ihre Autonomie mutig wahrnehmen, vom Kanton, dass er sich nicht unnötig in die kommunale Planung einmischt, und von der Bevölkerung, dass sie sich aktiv mit Fragen der Raumplanung auseinandersetzt. Nur so können wir gemeinsam die Rahmenbedingungen schaffen, die eine wirtschaftliche Entwicklung und die Zukunftsfähigkeit unserer Region sichern.

 

Was ist eine Ortsplanungsrevision?

Eine Ortsplanungsrevision beinhaltet die umfassende Überarbeitung der kommunalen Grundordnung (Baugesetz, Zonenplan, Gestaltungs- und Erschliessungsplan). Sie ist vorgeschrieben durch die Revision des Raumplanungsgesetzes (RPG 1) und dient dem haushälterischen Umgang mit Boden. Gemeinden müssen überdimensionierte Bauzonen verkleinern, Siedlungen nach innen verdichten und Neueinzonungen ohne klaren Bedarf vermeiden. Bisher haben 13 Bündner Gemeinden die Ortsplanrevision aufgrund der RPG1-Vorgaben abgeschlossen.


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