1975 bis 2000: Auf und ab gegen Ende des Jahrhunderts

Die Mitte der Siebzigerjahre aufgrund der Weltwirtschaftslage einsetzende Krise blieb schweizweit nachhaltig in den Köpfen der Leute, was damit zu tun hatte, dass es seit 1948 nie mehr einen so lange andauernden Nachfragerückgang gab. Erst gegen Ende der Siebzigerjahre erholte sich die schweizerische Volkswirtschaft langsam von der kräftigen Rezession. Die Investitionen, die stark zurückgegangen waren, stiegen, und die Unternehmungen hatten eine wachsende Zuversicht vor Augen.

Auch ein zweiter markanter Anstieg der Erdölpreise im Jahre 1979 vermochte die Wirtschaft nicht mehr derart zu beunruhigen wie beim ersten Mal. Doch wie sich zeigen sollte, würde diese Krise nachhaltigen Einfluss auf den Wirtschaftsstandort Schweiz haben.

Von der Rezession zur Hochkonjunktur
Natürlich machten sich die Auswirkungen der Rezession auch in Graubünden bemerkbar, allerdings war es auch so, dass der Anstieg in der früheren Hochkonjunktur weniger ausgeprägt und der anschliessende Niedergang dafür etwas weniger hart war als im Durchschnitt der Schweiz. Das Bevölkerungswachstum zwischen 1970 und 1980 fiel mit 1,6 Prozent wesentlich tiefer aus als im vorausgegangenen Jahrzehnt (9,9 Prozent). Die Abwanderung, vor allem der ausländischen Arbeitskräfte (und damit auch der teilweise «Export» der Rezession), machte sich deutlich bemerkbar. Die stagnierende Einwohnerzahl wirkte sich dämpfend auf den Konsum und die Investitionen aus. Innerhalb weniger Jahre vollzog sich in manchen Branchen ein eigentlicher Strukturwandel. Arbeitsplätze mussten abgebaut werden, viele Betriebe hatten sich mit grossem Einsatz den neuen Verhältnissen anzupassen. Im Handel sassen die Grossverteiler den Detaillisten noch stärker im Nacken. Im Nachgang durfte man allerdings feststellen, dass die gewerbliche Wirtschaft aus eigener Kraft gestärkt aus den Rezessionsjahren hervorgegangen ist. Zwar musste das Bauhauptgewerbe Arbeitsplätze abbauen, das Ausbaugewerbe konnte aber kompensieren, indem es mehr als 20 Prozent zulegte. Immer mehr Anspruchsgruppen aus der Gesellschaft machten sich bemerkbar. Die Rahmenbedingungen für die wirtschaftliche Tätigkeit konnten sich so nicht verbessern.

Der BGV gibt Gas
Diese Entwicklung, die für die gesamte Schweiz und nicht nur für Graubünden galt, mochte der BGV nicht tatenlos hinnehmen. Er erkannte, dass eine erfolgreiche Vertretung der Anliegen des Gewerbes eine umfassende und gute Organisation brauchte. In den Achtzigerjahren wusste er seine Schlagkraft markant zu stärken: Der gesamte Mitgliederbestand erhöhte sich um mehr als 1300 auf 5700, und die Zahl der angeschlossenen Berufsverbände und Gewerbevereine stieg um 13 auf 64 Sektionen. Alle Mitglieder erhielten ab 1979 mindestens viermal pro Jahr und immer vor den Abstimmungswochenenden mit dem «Bündner Gewerbe» ein eigenes Publikationsorgan, welches ab Einführung des eigenen EDV-Systems im Jahre 1986 intern mit eigenem Personal druckreif produziert wurde. Regelmässig veröffentlichte der BGV seine Haltung in den kantonalen und regionalen Medien, wobei die Wahl 1983 seines Sekretärs Dr. Peter Aliesch in den Nationalrat fördernd wirkte. Um die Vernetzung mit der kantonalen Politik zu verbessern, wurde im gleichen Jahr die Gewerbegruppe des Grossen Rats ins Leben gerufen, die zum Ziel hatte, die Anliegen des Gewerbes breiter in der kantonalen Politik abzustützen. Der BGV, der sich seit jeher primär auf die Gewerbepolitik konzentrierte, legte noch einmal einen Zacken zu und organisierte mit eigenen Ressourcen professionell Kampagnen für eidgenössische und kantonale Abstimmungen, die er oft mit überzeugenden Mehrheiten gewann. Der BGV verfolgte nicht Einzelinteressen bestimmter Branchen. Es ging ihm darum, die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Dies war über die Kantonsgrenzen hinaus nötig, weil viele Länder die Bedrohungen der Siebzigerjahre als Herausforderung zur Verbesserung ihrer Wettbewerbsfähigkeit begriffen. Der seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs traditionelle Standortvorsprung der Schweiz schmolz beträchtlich. Im Vergleich zu anderen Ländern stieg die Steuerbelastung überproportional, und die Regulierungsdichte nahm zu. Zudem wurde schon 1988 der ausgesprochene Mangel an Fachkräften beklagt.

Besseres Steuerklima hat oberste Priorität
Im interkantonalen Steuerranking belegte Graubünden noch 1985 in allen Sparten die letzten Ränge. Eine Revision hin zu einem wirtschaftsfreundlicheren Steuerklima wurde im BGV über mehr als zehn Jahre mit höchster Priorität verfolgt. Juristische Personen hatten eine Steuerlast zu tragen, die drei- bis viermal so hoch war wie in anderen Kantonen, was für die Standortattraktivität und die hiesigen Unternehmen ein Desaster bedeutete. Mit der Totalrevision des Steuergesetzes im Jahr 1986 konnten endlich nicht alle, aber ein guter Teil der Forderungen des BGV erfüllt werden. Von Bedeutung war insbesondere der Wechsel von der Vermögens- zur Kapitalsteuer bei den juristischen Personen, der aus fiskalischen Gründen nur möglich wurde, weil sich die grossen Kraftwerkgesellschaften nach wie vor freiwillig der Vermögenssteuer unterzogen. Zudem griff insbesondere die Einführung der sogenannten Sofortabschreibung, die auch für Einzelfirmen galt. Bis zu 80 Prozent einer neuen Investition konnten im ersten Jahr abgeschrieben werden. Mit der von den Behörden eingeleiteten gesetzlichen Wirtschaftsförderung konnte der BGV allerdings wenig anfangen. Er pochte auf bessere Rahmenbedingungen. Weitergehende Eingriffe lehnte er ab, weil sie «keinen grossen Beitrag für die wirtschaftliche Standortgunst des Kantons leisten». Im Bewusstsein der Bedeutung des Tourismus forderte der BGV insbesondere, die Rahmenbedingungen für die Tourismuswirtschaft zu verbessern, die Geldströme zu entflechten und die Beherbergungsabgabe der Hotellerie nicht mehr für die Strassenrechnung, sondern für die Förderung des Tourismus zu verwenden. Damit vermochte er allerdings vorerst nicht durchzudringen. Lange bevor es am 6. Dezember 1992 zur Abstimmung über den Beitritt zum EWR kam, diskutierte der BGV über die Vor- und Nachteile. Letztlich entschied er sich dagegen, was bei einer Stimmbeteiligung von 75,6 Prozent (!) der Bündner Souverän mit 62 115 Nein-Stimmen gegenüber 29 821 Ja-Stimmen auch tat. Weitere Meilensteine in den Achtzigerjahren waren die Einführung der Kinderzulagen für Selbständigerwerbende mit einem fakultativen Bezugsrecht – davon wurde weit mehr Gebrauch gemacht, als ursprünglich angenommen – und anlässlich der Hundertjahrfeier der Gewerbeschule Chur die Durchführung einer Berufsschau 1986, mit welcher der BGV Schüler der siebten und achten Klasse ansprach. 52 Verbände beziehungsweise Aussteller demonstrierten für rund 4000 Schülerinnen und Schüler und weitere Interessierte 120 verschiedene gewerblich-industrielle Berufe. Und schliesslich nutzte der BGV zusammen mit anderen Verbänden eine Weiterbildungsoffensive des Bundes, um für die betriebliche Weiterbildung eine eigene Institution in Graubünden zu schaffen: 1990 wurde das damalige Institut für Weiterbildung (ibW) gegründet, die heutige Höhere Fachschule Südostschweiz.

Und wieder wird es härter
Die Wachstumsjahre dauerten bis 1990 und wurden dann von einer mehrjährigen Stagnation abgelöst, die Graubünden stark zu spüren bekam. Die Logiernächte im Tourismus gingen ab 1993 bis 2002 um 22 Prozent zurück. Daraus resultierte ein Einkommensverlust, den nahezu alle gewerblichen Branchen zu verkraften hatten. Nicht zum ersten Mal musste Graubünden erfahren, wie abhängig die Wirtschaft von der touristischen Entwicklung war. Es setzten engagierte Diskussionen unter Touristikern, Politikern und Wirtschaftsvertretern über richtungsweisende Entscheide ein. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse und Rezepte fanden aber keine rasche Umsetzung, weil sie oft keine Mehrheiten fanden.

Ab Mitte der Neunzigerjahre hat der BGV mit einigen Aktionen die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich gelenkt – so zum Beispiel mit der Lancierung der Kampagne «Graubünda macht’s», der Herausgabe des Wirtschaftsmagazins «Puls» zusammen mit der GKB, dem Amt für Wirtschaft und Tourismus, der Handelskammer und dem Hotelierverein sowie mit der jährlichen Verleihung des Deregulierungspreises. 1996 führte er zusammen mit Handelskammer und Hotelierverein einen Wirtschaftstag mit dem Grossen Rat durch, an dem sich erstmals prominente Bündner Unternehmerinnen und Unternehmer direkt an die Behördenmitglieder wenden konnten. Und ab 1997 wurden BGV, Handelskammer und Hotelierverein jährlich von der Regierung zu einem Gedankenaustausch eingeladen. Der runde Tisch sollte sich vor allem in Krisensituationen als geeignetes Gefäss bewähren.

Im Jahre 2000 konnte der BGV sein 100-jähriges Bestehen feiern. Mit einer Sonderausstellung an der GEHLA in Chur mit mehr als 80 000 Besucherinnen und Besuchern wurden unter dem Motto «Das Gewerbe gestern – heute – morgen» zusammen mit allen angeschlossenen Branchenverbänden die Bedeutung und die vielfältigen Berufslehren gezeigt. Die Leistungsschau war ein voller Erfolg. Natürlich durfte an der Jubiläums-DV, an der jedes aus den verschiedenen Branchen stammende Mitglied des leitenden Ausschusses des Vorstands eine unverhohlene Standortbestimmung vornahm, weder die Prominenz aus Wirtschaft und Politik noch das abschliessende Gala-Diner im Titthof mit mehr als 300 Delegierten und Gästen und von Bündner Künstlern inszeniertem Unterhaltungsprogramm fehlen.

 

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