Mit Holz, Herz und Entschlossenheit

Flurina Wiedemann lebt das Schreinerhandwerk mit Leidenschaft, Präzision und einem starken Bewusstsein für Nachhaltigkeit. Holz ist für sie mehr als ein Werkstoff und ihren Bauberuf würde sie wieder auswählen.

Flurina Wiedemann ist 23 Jahre alt, in Maienfeld aufgewachsen und lebt in Chur. Nach ihrem Lehrabschluss als Schreinerin EFZ Fachrichtung Bau/Fenster mit der Note 5.4 steht ein grosser Schritt an: ein Bachelorstudium Holztechnik in Biel. Ein Weg, der keineswegs eine Abkehr von der Baubranche bedeutet, sondern vielmehr eine Vertiefung und Erweiterung ihres Wissens, ihrer Fähigkeiten und ihrer Ideen ist. «Einfach arbeiten, ohne weiter zu lernen, ist für mich keine Option», sagt sie. Ihr Ziel ist es, die Verbindung von Handwerk, Technologie und Holzverwendung zu meistern. Sie will verstehen, wie Holz nicht nur verarbeitet, sondern bestmöglich eingesetzt wird – ökologisch, wirtschaftlich und kulturell. Biel gilt als schweizerisches Zentrum für Holztechnik und Design als perfekter Ort für junge Talente, die an der Schnittstelle zwischen Handwerk, Technik und Innovation arbeiten wollen. Als Studentin im Bachelor of Science Holztechnik will Wiedemann ein nachhaltiges Morgen mit Holz, dem Baustoff der Zukunft, bauen.

Mit den Händen arbeiten
Wie Flurina Wiedemann zum Schreinerberuf kam, ist alles andere als ein typischer Karriereweg. Sie absolvierte die Kantonsschule in Chur mit dem Ziel, danach ein Studium aufzunehmen. Doch die Unentschlossenheit über die Studienrichtung hielt sie vom direkten Weg ab. Stattdessen verdiente sie sich zunächst Geld in der Churer Kletterhalle «Ap’n Daun» – und verfolgte gleichzeitig ihre Leidenschaft fürs Klettern. Doch dann kam der Gedanke: Was, wenn ich mit meinen Händen arbeite? Das Sägen, Schleifen, Gestalten könnte genau mein Ding sein. Sie schnupperte in mehrere Betriebe hinein, bevor sie bei der Cahenzli Schreinerei und Zimmerei in Trin ihre Ausbildung begann. «Holz ist für mich nicht ­einfach ein Material, es ist etwas Lebendiges», beschreibt sie ihre Beziehung zum Werkstoff. «Jedes Stück erzählt eine Geschichte – durch seine Maserung, seinen Duft, seine Herkunft.» Diese emotionale Verbindung zum Holz wurde zum Antrieb für ihre Ausbildung und spätere Arbeit.

Vier Jahre dauerte ihre Ausbildung in der Surselva. Dort lernte sie die Facetten des Schreinerhandwerks – vom Entwurf bis zur präzisen Umsetzung. Besonders wichtig war ihr, die Balance zwischen Kopf und Hand zu finden: «Beim Schreinerberuf braucht es beides – kreatives Denken und technisches Geschick.» Diese Kombination macht den Beruf für sie so einzigartig. Als Schreinerin bewegt sie sich in einem Feld, das traditionell von Männern dominiert wird. Tatsächlich sind laut aktuellen Statistiken des Bundesamts für ­Statistik nur etwa sieben Prozent der Lernenden im Bauhaupt- und Baunebengewerbe Frauen – im Schreinerhandwerk ist der Anteil ähnlich niedrig. Nur etwa jeder 14. Lehrling ist weiblich. Das bedeutet für junge Frauen oft, dass sie sich in einer männerdominierten Umgebung beweisen müssen.

Viele berichten von Vorurteilen, mangelnder Sichtbarkeit und dem Gefühl, nicht richtig dazuzugehören. Umso wichtiger ist es, dass Frauen wie Wiedemann zeigen, dass sie nicht nur genauso kompetent sind, sondern auch frische Perspektiven und neue Ideen in die Branche bringen. «Manchmal spürt man schon, dass man anders wahrgenommen wird. Ich will zeigen, dass Frauen im Schreinerberuf genauso stark sind wie Männer – und manchmal sogar mehr.» Auch in Graubünden sind Frauen im Baubereich noch die Ausnahme. Die regionale Berufsbildung und verschiedene Verbände setzen sich aber zunehmend dafür ein, diesen Trend mit gezielten Förderprogrammen, Mentoring und der Sichtbarkeit weiblicher Fachkräfte zu ändern. «Ich kann nur jedem Mädchen empfehlen, sich einen Beruf in der Baubranche anzuschauen. Es ist zwar manchmal streng, dafür aber sehr interessant und abwechslungsreich.»

Tradition und Nachhaltigkeit

Das Studium ist der logische Schritt, um Wiedemanns Leidenschaft und Fachwissen auszubauen. Der Bachelor of Science Holztechnik bietet eine breite Palette an Themen, von nachhaltiger Forstwirtschaft über Werkstofftechnologie bis hin zu Design, Konstruktion und Digitalisierung. Dabei wird das Thema Nachhaltigkeit grossgeschrieben. Holz als nachwachsender Rohstoff kann beim Klimaschutz eine Schlüsselrolle spielen. Deshalb setzt sich Wiedemann mit den Themen Kreislaufwirtschaft und nachhaltigem Bauen auseinander. Neben Holz und Technik ist Klettern Flurinas Leidenschaft – ein Hobby, das ihr viel über Geduld, Technik und Vertrauen beigebracht hat. «Klettern und Handwerk haben viel gemeinsam», findet sie. «Beides braucht Präzision, Ausdauer und Mut.» In den Bergen rund um Chur hat sie schon viele Herausforderungen gemeistert und auch in Biel freut sie sich auf neue Routen und Klettergebiete. Ausdauer, Mut, präzises Arbeiten haben sie in ihrer Ausbildung weit gebracht. Flurina Wiedemann hat klare Ziele, will Neues lernen und gestalten. Holz passt für sie deshalb sinnbildlich. Ein Material, das fest verwurzelt ist, aber sich gleichzeitig in vielfältiger Weise formen lässt – genau wie den Lebensweg, den sie vor sich hat.

 

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